Sommersemester und Herbstsemester 2022
Einführung
Das Seminar „Das Wissen der Pandemie“, das im Sommer 2022 als Titellehre an der TU Berlin stattfand ( Institut für Philosophie, Literatur-, Wissenschafts- und Technikgeschichte) und im Herbst 2022 als Lehrauftrag an der Universität Luzern (Lehrstuhl für Wissenschaftsforschung), beschäftigt sich mit dem Wissen und den Wissenschaften des pandemischen Zeitalters unter vier Hinsichten:
A. Die Biologie der Viren.
Im Zentrum steht die parasitäre Seinsweise der Viren, der Schwerpunkt liegt auf der „Molekularen Virologie“.* Die Fragen sind: Wie ist ein Virus „aufgebaut“? Was heißt „Infektion“? Wie überschreiten Viren die „Schranke“ der Haut, von Schleimhäuten und Zellmembranen? Welche Strukturen üben „Pfortenfunktion“ aus? Was ist Infektion als „Vermehrung“, also Aufbau von Virenproteinen und Virionen mit Kapsel und manchmal Membran? Wie unterscheiden sich „Viren mit einzelsträngigem RNA Genom in Plusstrangorientierung“ (etwa Corona) von allen anderen?
* Modrow, Truyen, Schätzl 2021. Siehe auch: Modrow 2022 (C.H. Beck Wissen 2177).
B. Immunobiologie.
Daran schließt sich eine andere Sphäre an: die Immunologie oder Immunobiologie.* Die Fragen sind: Wie werden aus Tatsachen der biologischen Umwelt „Antigene“? Welche Art von Körpern sind „Anti-körper“? Woher entsteht biologisch die ungeheuere Diversität von Antikörpern („klonale Selektionstheorie“)? Was heißt „erkennen“ zwischen Antigen und Antikörper? Was ist der wissenschaftliche Hintergrund von „Antigen-Tests“?
* Janeway’s Immunobiology, 9th edition, Garland Science 2017.
C. Die Pandemie und ihre Diskurse.
Eine dritte Sphäre sind die diskursiven, administrativen, politischen Diskurse von zweieinhalb Jahren Pandemie, also eine jüngste Geschichte. Fragen sind: Wie unterscheiden sich prinzipiell und geschichtlich (Verlauf der Pandemie) die Phase der „Maßnahmen“ und die Phase der „Technik“? Wie kommt das Wissen der Pandemie auf der politischen Ebene an (etwa in Kleinen Anfragen von Fraktionen im Deutschen Bundestag)? Was ist, wie entsteht der Diskurs der „Impfskepsis“? Was ist sein medialer Hintergrund (die „Lanz-Graphik“ und die Wissenschaft)? Wie verstehen sich Impfskepsis und „Political Data Science“ (Simon Hegelich, TU München)? Welche impfskeptischen Perspektiven kommen aus der Anthroposophie und der alternativen Medizin?
D. Der IVT mRNA Impfstoff.
Die vierte Sphäre, die Sphäre der Technik, ist Entstehung und Wesen von mRNA Impfstoffen. Wissenschaftsgeschichte I: Entstehung und Theorie einer „messenger RNA“ (Brenner, Jacob, Meselson: „Un unstable intermediate carrying information from genes to ribosomes for protein synthesis“, 1961). Wissenschaftsgeschichte II: Die in vitro transcription als eine industrielle Schlüsseltechnik. Das „Werk der Drei“: BioNTechs IVT mRNA Impfstoff. Die evolutionäre Perspektive: RNA, RNA Welt, RNA Engineering, RNA Kult.
Unter dem Rahmenthema „Impfskepsis als Diskurs“ war der Anthroposophischen Impfskepsis am 07. Juli 2022 ein Referat von Sophie Hoppe gewidmet; die Sitzung vom 14. Juli 2022 Nachträgen und Bemerkungen von Peter Berz unter dem Titel „Impfskepsis. Zwei Perspektiven aus der Anthroposophie“. Dort werden zwei konträre Ansätze behandelt: ein mikrobiologischer Ansatz (Thomas Hardtmuth: Mikrobiom und Mensch, 2021) und ein klassisch „geistkosmischer“ Ansatz (Andreas Matner: „Das Virus und sein Ich“, Juli 2021). Beide Ansätze münden in den Diskurs der Impfskepsis.
Text des überarbeiteten Seminar-Skripts der Sitzung vom 14. Juli :
https://www.peter-berz.de/wp-content/uploads/2022/08/Anthroposophie-Corona.pdf
Inhalt:
Impfskepsis. Zwei Perspektiven aus der Anthroposophie
0. INTRO: Ökologisches Denken
Exkurs I: Microbial ecology
Exkurs II: Pop-Science
1. Phänotyp: Symbiotische Viren
1.1 Ichneumonidae
1.2 Elysia chlorotica
2. Genotyp: Konjugation und Horizontaler Gentransfer
3. Endogene Retroviren, ERV
Exkurs III: ERV als evolutionäre Agenten
4. DNA versus RNA. Eine Art RNA-Kult
5. Das Mikrobiom als Proto-Organismus
Zwischenresumée: Ökologisierung
6. Differenzen zur klassischen Anthroposophie
Exkurs IV: Andreas Matner: „Das Virus und sein Ich“
7. Rudolf Steiner und das Ich
Resumée: Anthroposophie als Ökosophie?